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Titel
Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzöge (1365-1406)


Autor(en)
Lackner, Christian
Reihe
MIÖG Ergänzungsband 41
Erschienen
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Eric Wagner, Historisches Institut der Universität Rostock

Angeregt durch Norbert Elias‘ historisch-soziologische Arbeiten hat das Thema “Hof” und fürstliche Residenz in den letzten Jahren wachsendes Interesse bei Historikern gefunden. Anders als Kunst- und Literaturhistorikern geht es ihnen nicht in erster Linie darum, den jeweiligen Ort mit seinen Eigenheiten zu beschreiben oder die Rolle des Hofes bei der Kulturförderung herauszuarbeiten, sondern um die Organisationsformen von Herrschaft und ihre langfristigen Veränderungen sowie mit Blick auf den Vorgang der stärkeren Institutionalisierung, ja Bürokratisierung der Herrschaftspraxis seit der Mitte des 15. Jahrhunderts insbesondere um die Bedeutung des Hofes für die Herausbildung des frühmodernen Staates.

Die spätmittelalterliche Hof- und Residenzenforschung geht ihr Thema bislang im wesentlichen auf drei Wegen an: Der erste setzt bei Kanzlei und Schriftgut an und behandelt Hof, Rat und Regierungssystem gleichsam als Anhang mit. Der zweite rückt den Prozess der Residenzbildung in den Mittelpunkt, also den Wandel von der Reise- zur Residenzherrschaft, dargestellt vor allem anhand des fürstlichen Itinerars. Und der dritte versucht, mit Hilfe prosopographischer Untersuchungen die Zusammensetzung, die Rekrutierungsmechanismen und die Wirksamkeit der den Hof konstituierenden Personenverbände aufzudecken. Während der Königshof der Luxemburger und auch die territorialfürstlichen Höfe etwa der rheinischen Pfalzgrafen, der bayerischen Wittelsbacher oder der Wettiner zum Teil bereits seit Jahrzehnten auf die eine oder andere Weise untersucht worden sind, ist der spätmittelalterliche Hof der österreichischen Herzöge, von dem Kaiser Friedrichs III. einmal abgesehen, bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben. Diesen Mangel will Christian Lackner mit seiner Wiener Habilitationsschrift aus dem Jahr 2001, die er bemerkenswert rasch für den Druck überarbeitet hat, zu einem beträchtlichen Teil beheben. Über immerhin vier Jahrzehnte, vom Tod Herzog Rudolfs IV. 1365 bis zum Tod von dessen Neffen Wilhelm 1406, erstreckt sich der Betrachtungszeitraum seiner Studie, in der er beabsichtigt, die drei angesprochenen Forschungsstränge miteinander zu verknüpfen.

Wenn für die Mitte des 14. Jahrhunderts pointiert festgestellt worden ist, dass “sich der Hof des Fürsten am ehesten noch auf dem Rücken der Reitpferde, Saumtiere und Wagen lokalisieren” lässt (Wilhelm Janssen), so erhebt sich die Frage, ob das in den darauffolgenden fünfzig Jahren bereits erheblich anders geworden ist. Unter einem eher strukturgeschichtlichen Blickwinkel, so begründet Lackner sein Vorhaben deshalb auch inhaltlich, offenbare sich die Zeit von 1365 bis 1406 als wichtige Epoche des Übergangs, in der Ansätze frühmoderner Staatlichkeit ebenso wie der Dualismus von Fürst und Landständen erstmals sichtbar werden. Als erste zusammenhängende Strukturanalyse des spätmittelalterlichen habsburgischen Herzogshofes hat die Untersuchung deshalb zum Ziel, Rat, Hofämter, Kanzlei und Regierungspraxis der österreichischen Herzöge von 1365 bis 1406 auf möglichst breiter Quellengrundlage zu beleuchten, wobei sie hauptsächlich durch ein diplomatisch-quellenkundliches und ein verfassungs- und verwaltungsgeschichtliches Forschungsinteresse gelenkt wird.

Nach einem einleitenden Abschnitt, der die Rahmenbedingungen und das Profil der habsburgischen Politik im gewählten Zeitraum auslotet, werden im umfangreicheren ersten Teil des Buches die Träger der Hofämter und der Hofrat betrachtet, wobei eine personengeschichtlich-prosopographische Vorgangsweise gewählt wird. Ergänzend schließt sich daran ein Abschnitt über die herzöglichen Itinerare an, der sich die Erkenntnisse der Residenzen- und Itinerarforschung zunutze macht. Den dritten Teil der Studie bildet schließlich eine Kanzleigeschichte, die auf diplomatisch-hilfswissenschaftlichen Methoden wie Schriftguttypologie, Geschäftsgang und Schreiberbestimmung gründet.

Spätestens seit der Zeit Albrechts I. (1282-1308) lässt sich in Österreich ein “geschworener Rat” des Fürsten nachweisen, wobei unter der Bezeichnung ‚Rat‘ im Regelfall ein kleiner Personenkreis zu verstehen ist: Hofmeister, Kammermeister, Kanzler und eventuell der eine oder andere ständige Rat ohne Hofamt – in wechselnder Zusammensetzung. Das Amt des Hofmeisters wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zur wichtigsten Hofcharge. Den zweiten Rang nahm der Kammermeister ein, der hierin den Hofmarschall ablöste, der auf Reisen als Quartiermacher fungiert hatte und dessen Aufgaben sich, wohl infolge zunehmender Ortsfestigkeit des Hofes, nunmehr auf “binnenhöfische” Angelegenheiten beschränkten. In nahezu allen Bereichen von Regierung und Verwaltung ist die Mitwirkung des herzoglichen Rates belegbar, wenngleich die konkrete Beteiligung der Räte in den Quellen vielfach lediglich mit der stereotypen Formel “nach Rat unseres Rates” wiedergegeben wird. Die ermittelten Hofamtsträger werden im Anhang aufgelistet.

Da Hofordnungen, Sold- und Gagenlisten für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts nicht verfügbar sind, lassen sich Größe, Gliederung und Organisation des österreichischen Herzogshofes dieser Zeit nur indirekt und bruchstückhaft erschließen. Hinzu kommt, dass der ganze Hof “in Reichweite mündlicher Befehle” (Peter Moraw) lag und sich dementsprechend der Verschriftlichung teilweise entzog. Um z.B. die personelle Zusammensetzung des Rates auch nur annähernd zu ermitteln, waren daher die gesamte urkundliche und historiographische Überlieferung sowie außerhöfische Quellen (Wiener Grund- und Satzbücher) auf Ratsnennungen hin durchzumustern. Als eine wichtige Quelle für die personelle Struktur des Rates stellten sich dabei die Kanzleivermerke auf den herzoglichen Urkunden heraus. Ein Hauptverdienst der Arbeit besteht deshalb darin, trotz dieser disparaten Quellenlage wichtige Aufschlüsse zur Personengeschichte des herzoglichen Rates gewonnen zu haben.

In der Zusammenschau erscheint das höchste fürstliche Beratergremium in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch wesentlich adlig geprägt. Signifikant ist die Zunahme der Ritter. Gut ein Fünftel der nachweisbaren Räte war geistlichen Standes und gehörte zumeist der Kanzlei an. Eine überraschend deutliche personelle Trennlinie zu dieser weist die Hofkapelle auf. Kapläne wie Leopold von Wien machten sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum, in dem fürstliches Selbstverständnis und höfisch-dynastisch geprägtes Landesbewusstsein formuliert und propagiert wurden.

Nur begrenzte Einblicke in die Gliederung der habsburgischen Hofgesellschaft liefert eine nicht sehr umfängliche Küchen- und Speiseordnung Herzog Wilhelms (1365-1406), in der es um die Tischordnung bei Hof und um Vorschläge für die Finanzierung des Küchenbetriebs geht. Nach dem Fürstentisch werden “Amptezzen”, “Ritterezzen”, “Junkcherrenezzen” und Tische für die Hofjungfrauen aufgezählt. Eine Abstufung im Rang zeigt sich hier vor allem in der Anzahl der Bedienung. Obwohl sein Arbeitsfeld, die Küche, ein Hauptgegenstand dieser frühen Hofordnung ist, wird der Küchenmeister selbst nicht explizit erwähnt – möglicherweise ein Indiz dafür, dass die Residenzbildung bereits vorangeschritten war und deshalb seine Stellung an Bedeutung verloren hatte, da seine Initiative und sein Verhandlungsgeschick nun nicht mehr in gleichem Maße wie bei der Reiseherrschaft gefragt waren. Die Gesamtzahl der Hofleute schätzt Lackner vorsichtig auf rund 100.

Ebenso undeutlich wie die Vorstellungen von der personellen Größe sind jene, die sich von der finanziellen Seite des Hofstaates gewinnen lassen. Der Bereich der Hofwirtschaft und des Haushalts, Küche und Keller treten in der Untersuchung überhaupt eher in den Hintergrund. Auf eine systematische Erfassung des mit der materiellen Versorgung des Fürsten und der Fürstin beschäftigten niederen Hofpersonals wurde bewusst verzichtet. Da zentrale Rechnungsbücher für die untersuchte Zeit weitgehend fehlen, ließe sich ohnehin über die Bedarfsdeckung mit Gütern agrarischer und handwerklicher Produktion keine zusammenhängende Darstellung geben.

Den zweiten Hauptgegenstand der Arbeit bilden Urkundenwesen und Kanzlei. Soweit wie die Regesta Habsburgica bislang reichen, also bis 1330, liegen kanzleigeschichtliche Studien vor. Die nachfolgende Zeit ist dagegen bisher kaum untersucht worden. Etwa 2250 Originalurkunden aus mehr als 70 Archiven hat Lackner für die Zeit zwischen 1365 und 1406 gesammelt. Insgesamt hält er eine Größenordnung von 3000 bis 3500 erhaltenen Herzogsurkunden für diesen Zeitraum durchaus für vorstellbar. Originale und Kopien zusammengenommen, stützt sich seine Untersuchung auf eine Quellengrundlage von geschätzten 80-90% der existierenden Urkundenüberlieferung.

Dank der großen Urkundendichte konnte das Itinerar der Herzöge fast lückenlos erfasst und im Anhang dokumentiert werden. Rechnungen und Rechnungsbücher, die ebenfalls Hinweise auf eine eventuell zunehmende Ortsfestigkeit des Hofes und seiner Institutionen liefern könnten, vermochten indes nur wenig zur Aufhellung des fürstlichen Itinerars beitragen, da sich nur ein zentrales Rechnungsregister Albrechts III. aus den Jahren 1392 bis 1394 erhalten hat.1 Die Residenzfunktion Wiens wird daher ergänzend exemplarisch anhand dreier Fragekomplexe (Baugeschichte der Burg, fürstliche Grablege in St. Stephan, Entwicklung von Herren- und Gesindeviertel) analysiert.

Weder Kanzleiordnungen noch zeitgenössische Einteilungen der Urkunden aus dem 14. Jahrhundert sind überliefert. Lackner unterteilt diese daher in Privilegien, Mandate und Litterae clausae. Privilegien stellen im Untersuchungszeitraum zwar noch die Masse der urkundlichen Überlieferung dar. Mit den auffälligen Neuerungen, die den Urkunden Rudolfs IV. ihr unverwechselbares Erscheinungsbild gegeben hatten, wurde jedoch gebrochen und zu den einfachen Formen der Zeit vor 1358 zurückgekehrt. Nur eine von Rudolfs vielen Ideen wurde fortgeführt: Spätestens seit 1349 führte der Leiter der Kanzleigeschäfte der Herzöge von Österreich den Kanzlertitel, wobei die praktische Kanzleiarbeit zusehends in den Hintergrund trat und sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit eindeutig auf politisches Gebiet verlagerte. Neben dem Kanzler taucht regelmäßig einer, gelegentlich auch mehrere Protonotare auf, während das niedere Kanzleipersonal schwer fassbar bleibt. Eine Liste der Schreiberhände wird im Anhang geboten.

“Die Polyvalenz des Hofes”, so Werner Paravicini, “ist in der Tat beeindruckend.” Der Hof “muß 1. das tägliche Leben und 2. Zugang und Sicherheit organisieren, 3. das Prestige des Fürsten erhalten und erhöhen, 4. Machteliten neutralisieren und integrieren und schließlich 5. regieren und verwalten.”2 Lackner wählte ausschließlich den zuletzt genannten Funktionsbereich zum Schwerpunkt seiner Studie. Den Hof wollte er vornehmlich als “politisches Gebilde” betrachten, als Entscheidungszentrum und als Instrument von Regierung und Verwaltung. Die kulturelle Ausstrahlung des österreichischen Hofes, an dem die höfische Kunst gerade im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts eine Blütezeit erfuhr, wird hingegen nur in kurzen, vorwiegend prosopographisch angelegten Kapiteln über verschiedene Hofkünstler angedeutet. Formen der “Herrschaftsrepräsentation”, Aspekte des Zeremoniells und der höfischen Festkultur, wie sie in jüngster Zeit von der Hofforschung stärker in den Blick genommen worden sind, wurden aufgrund der Dürftigkeit entsprechender Quellen für den habsburgisch-österreichischen Hof im 14. Jahrhundert gänzlich ausgeklammert. “Das Bild, das in diesem Buch vom habsburgischen Hof in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gezeichnet wurde”, so räumt Lackner selbst resümierend ein, “weist viele weiße Flecken auf.” (342)

Woran liegt das? Gewiss nicht allein an der selbstauferlegten Beschränkung auf Ämter und Funktionen oder an der Spärlichkeit der Quellen, die allzuoft den Einblick in Herrschaftspraxis, personelle Verflechtungen und höfischen Alltag verwehren: “Es ist das spätere 14. Jahrhundert ein Zeitabschnitt, in dem die zweite Ebene hinter dem Fürsten überhaupt erst allmählich sichtbar und faßbar wird.” (342) Die Ursache hierfür dürfte allerdings nicht zuletzt darin zu suchen sein, dass “die Hofgesellschaft insgesamt wohl noch nicht als einheitlicher und durch formalisierte Dienstverhältnisse umschriebener Personenverband begriffen wurde”. (333) Zugehörigkeit zum Hof lässt sich eben für eine Zeit noch schwer fassen und definieren, in der es den “Hof” als einheitliches und rechtlich fest abgegrenztes Gebilde so noch nicht gegeben hat.

So wichtig die hier erzielten personen- und ämtergeschichtlichen Erkenntnisse für die Frühgeschichte des Hofes sind, zu selten werden sie an die eingangs aufgeworfene Fragestellung nach dem Wandel in Struktur und Eigenart des habsburgisch-österreichischen Hofes rückgekoppelt, zu selten werden sie zu anderwärts gemachten Beobachtungen, etwa zum Hof der Herzöge von Burgund oder dem der Wettiner, ins Verhältnis gesetzt. Was indes Kanzlei und Urkundenwesen angeht, so liegt der Vorzug dieses Buches in dem gelungenen Versuch, das hochspezialisierte handwerkliche Können der Wiener diplomatischen Schule mit aktuellen historischen Fragestellungen zu verknüpfen. Als einschlägige Detailforschung liefern die hier gewonnenen Ergebnisse im Verbund mit denen, die für andere Fürstenhöfe bereits vorliegen, zweifellos einen wichtigen Baustein für eine gesamteuropäisch vergleichende Verfassungsgeschichte des Spätmittelalters.

1 Christian Lackner, Ein Rechnungsbuch Herzog Albrechts III. von Österreich. Edition und Textanalyse (= Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 23), Wien 1996.
2 Werner Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 32), München 1994, S. 66f.

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